Auftakt der Kollektivarbeit war ein Studienprojekt des Masterstudiengangs Applied Theatre - Artistic Practice and Society der Uni Mozarteum Salzburg. Die beiden zentralen Kunstwerke bzw. bisherigen Projektphasen tragen die Titel: Als alle Ohren hören konnten / If all ears could hear und später Fields of Resistance - Romani Archives of Tomorrow's Remembrance. Für seine erfolgreiche Entwicklung sprechen neben der Resonanz von Mitgestalter*innen, Publikum und Presse, die Einladung zu bisher sechs Kunstfestivals und die Verleihung des Bertha Artivism Award 2024. Bisher gastierte das Projekt international an vier Orten, davon in drei europäischen Hauptstädten, markierte vier ehemalige Lagerstellen, bespielte zwei Galerien sowie zwei Performance- und Theaterhäuser.

Ausgangselement der Kollektivpraxis active remembrance ist das Adressieren einzelner Menschen, deren Leben im Porajmos genommen wurden. Durch die Begründung von Erinnerungspatenschaften entstehen liebevoll spekulierende, wütende und fürsorgliche Briefe. Sie sind Gegenerzählungen sind zu Fragmentierung, Auslöschung und Vergessen. Autor*innen sind Aktivist*innen, Künstler*innen, Forscher*innen und Community Worker - Rom*nja und Sinti*zze sowie Unterstützer*innen aus Österreich, Ungarn und darüber hinaus. Diese bisher knapp 100 Texte bezeugen anhaltendes Überleben und eröffnen aktuelle Praktiken des Widerstands, indem sie die ausgelöschte Biographie der adressierten Person in die Geschichte zurückschreiben und gleichzeitig das eigene Wirken von heute schildern. So wird ein lebendiges Archiv geschaffen, das sich aus fabulierend erzählten Lebensgeschichten und empowernden Selbsterzählungen bildet. 

Stimme erhält dieses Archiv durch eine Audioinstallation als performatives und wanderndes Mahnmal. Durch die Kunstinstallation im öffentlichen Außenraum sprechen die eingelesenen Texte aus dem Erdreich. Dem Publikum wird der gemeinsame, geteilte Boden als beständiges und gemeinsam geformtes Speichermedium und Trägerelement im wahrsten Sinne greifbar. Durch aktives Zuhören und eine Geste des Annäherns ist das Publikum eingeladen, sich zu solidarisieren, sich der Geschichte zuzuwenden und die Verantwortung für das Erinnern zu bezeugen. Mit ihrer Platzierung auf dem Gelände kleinerer ehemaliger Lager und Sammelstellen markiert die Installation Orte des NS-Terrors, die von der Mehrheit verdrängt und vergessen wurden. Dadurch werden diese Orte überschrieben, schaffen Platz für Trauer und Begegnung und werden in ihrem ursprünglichen Wesen zurückgewonnen: Als lebendige Orte der Gemeinschaft.

Die Aktivierung von gemeinschaftlichen und solidarischen Räumen verfolgt das Kollektiv darüber hinaus in drei weiteren Ansätze: Die offene Bespielung der Budapest Gallery by Budapest History Museum hat mit dem unArchvingLab Raum geschaffen für ein Diskurs- und Begegnungsprogramm. Es wurde von lokalen Communities kuratiert. Hier standen die eigene Perspektive auf historische Kontexte und der eigene Bezug zu deren Kontinuitäten bzw. zu aktuellen Verhältnissen im Zentrum. Diverse Walking Tours laden dazu ein, historische Orte auf Leerstellen zu untersuchen und somit das eigene städtische Umfeld verändert zu erleben. Die Wahrnehmung der eigenen Nachbar*innenschaft kann so erweitert werden. Ein sich entwickelndes Theaterformat diskutiert kritische und intersektionale Gedenkpolitiken auf der Bühne und rückt dabei plurale Selbstbehauptungen ins Scheinwerferlicht.